17 September 2015

Super? Markt!

Kürzlich wurde einem Lebensmitteldiscounter in Berlin verboten, seinen Supermarkt auch Sonntags zu öffnen. Da geht es ihm ähnlich wie zahlreichen Spätis (“Spätverkaufskiosk”, inhaberbetrieben), die gegenwärtig in Neukölln durch eine einzelne Behördenfachkraft ausgebremst werden.

Für beide Institutionen gilt das Berliner Ladenschlussgesetz (oder so¹), welches wg. Feiertag und Arbeitsschutz die Sonntags-Öffnung nur an besonderen Sonntagen oder an besonderen Orten erlaubt.

Die Neuköllner Spätis – eigentlich alle Berliner Spätis – haben sich dadurch eine Ausnahme erwirkt, dass in Berlin kaum irgendein Gesetz wirklich kontrolliert wird. Diese selbstgenehmigte Ausnahme wurde jüngst dadurch ausgehebelt, dass ein einzelner Sherriff mit den entsprechenden Befugnissen leider doch kontrolliert.

Nun sind Recht und Gerechtigkeit ohnehin nicht dasselbe, sondern bezeichnen ganz unterschiedliche Sachverhalte. Das ungerechte an der Neuköllner Späti-Situation ist, dass in Berlin eben nur im Bezirk Neukölln kontrolliert wird, und nur durch eine einzelne Person geltendes Gesetz durchgesetzt wird. Die Spätis der Nachbarbezirke haben jetzt einen Vorteil dadurch, dass die Konkurrenz der Neuköllner wegfällt. Das ist ungerecht – wird aber so gemacht.

Der Lebensmitteldiscounter in der Nähe der S-Bahn-Haltestelle Innsbrucker Platz hatte sich ebenfalls seine Ausnahme selbst genehmigt. In seinem Fall legte er das bestehende Gesetz beliebig weit aus.

Generell gilt, dass Lebensmittelgeschäfte in Berlin sonntags zu sind. Ausnahmen gelten für besondere Tage und Anlässe (sog. “Feiertage”², Messen), besondere Waren (Sortiment enthält ausschließlich Reisebedarf) und besondere Lagen (Bahnhöfe, Flughäfen, Museen).

Folglich öffnete der Supermarkt an jedem Sonntag, verkaufte sein gesamtes  in der Discount-Kette übliches Sortiment und die längste Reise, die man von dem  “Bahnhof” am Innsbrucker Platz direkt antreten kann, dauert eine Stunde – nämlich eine Runde auf dem S-Bahn-Ring. Kann man ja mal probieren.

Und tatsächlich: Bereits nach etwa acht Jahren fiel die Diskrepanz jemandem auf. Das zuständige Bezirksamt fand diese Auslegung eines un­miss­verständlichen Gesetzes³ doch sehr weit und untersagte die Öffnung am Sonntag. Selbst­verständlich erhob der finanzstarke Discounter Klage vor Gericht gegen so eine sehr konsequente Umsetzung eines sehr unmissverständlichen Gesetzes. Kann man ja mal probieren.

Erweiterte sehr originelle Begründung übrigens: “Schließlich wussten doch alle davon!”, die Öffnungszeiten würden ja auf der Webseite des Landes Berlin veröffentlich. Für einige deutsche Kaufleute und Juristen kommt so ein Umstand anscheinend einer behördlichen Genehmigung gleich (Stichwort → Bildungsnotstand).

Eigentlich überraschend an der ganzen Sache ist, dass die Klage tatsächlich zurückgewiesen wurde, dass der Laden jetzt tatsächlich sonntags zu bleiben soll, genau so, wie es das Gesetz vorsieht. Berlin ist doch bekannt für sein weiches Herz und dafür, auch für das noch so abwegigste persönliche Spezialinteresse Verständnis zu haben, dazu zählen nicht nur Gender-Aktivisten, sondern durchaus auch Kaufleute. Gegen diese Entscheidung ist Beschwerde zulässig – wir dürfen gespannt sein.

 

 

 


¹ ah, da, habs gefunden: „Der Betrieb ist an Sonn- und Feiertagen geschlossen zu halten, soweit die §§ 4 – 6 Ladenöffnungsgesetz Berlin (BerlLadÖffG) nichts Abweichendes für den jeweiligen Sonn- oder Feiertag bestimmen.”

² in Berlin hat der Begriff “Feiertag” einen leicht ironischen Beigeschmack, weil hier eigentlich immer irgendwie Feiertag ist. Die deutschlandweit üblichen Verhältnisse von Arbeitszeit und Freizeit scheinen in der Innenstadt nicht zu gelten: Die große Zahl von Studenten und Touristen feiert ohnehin die ganze Zeit und die arbeitende Bevölkerung startet das Wochenende gerne mal bereits am Donnerstag – oder auch am Mittwoch, je nach Bedarf und Brückentag. Jedenfalls legt die Auslastung von Lokalen, Gaststätten, Bars und Clubs diesen Schluss nahe

³ die Unmissverständlichkeit des Gesetzes ist eher eine Ausnahme. Sie wird hier deshalb so hervorgehoben, weil Gesetze in Deutschland üblicherweise für den denkenden Menschen völlig unverständlich formuliert sind und selbst Fachleute weniger bekannte Gesetzestexte oft mehrfach durcharbeiten müssen, um deren Tragweite einigermaßen zu erfassen

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